Genossenschaften haben, anders als andere Rechtsformen, einen besonderen gesetzlich vorgegebenen Zweck – sie betreiben einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb, den die Mitglieder nutzen sollen. Dieser Zweck – nämlich die Nutzungsorientierung – ist der Kern der genossenschaftlichen Idee. Häufiger wird nun darüber berichtet, dass die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft missbraucht wird. Dabei geht es vorrangig um Steuersparmodelle (1), sei es zur Einsparung von Gewerbe- oder Körperschaftssteuer (2) oder der Erbschaftssteuer (3). Genannt werden diese Genossenschaften meist „Familiengenossenschaften“, weil es darum geht, dass Familien ihr Vermögen (Immobilien / Unternehmen) in eine Genossenschaft einbringen. Diesen Begriff wollen wir nicht verwenden, weil es schon länger Familiengenossenschaften gibt, die vollkommen im Einklang mit dem Genossenschaftsgesetz agieren (4), wir verwenden nachfolgend den Begriff „Fake-Genossenschaften“, weil sie die Voraussetzungen für eine Genossenschaft unseres Erachtens nicht erfüllen.
1. Was sind Fake-Genossenschaften in diesem Zusammenhang?
Aus unserer Sicht sind das Genossenschaften, bei denen die „Förderung“ der Mitglieder nicht durch die Nutzung des gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes, sondern lediglich durch die Erträge aus diesem erfolgt.
Beispiel 1:
Eine Familie bringt eine Immobilie in eine Genossenschaft ein. Die Mieter sind nicht die nutzenden Mitglieder, sondern nur die investierenden Mitglieder. Die Familie bekommt eine Gewinnausschüttung, nutzt aber nicht tatsächlich die Einrichtung der Genossenschaft.
Beispiel 2:
Eine Familie bringt ein Unternehmen in eine Genossenschaft ein. Die Mitarbeiter (und ggf. Kunden) werden zu investierenden Mitgliedern. Als Förderzweck wird nun etwas konstruiert, das die Familie „nutzen“ kann: zum Beispiel die Förderung der Mobilität der Mitglieder. Dazu werden Fahrzeuge angeschafft, die die Mitglieder unentgeltlich nutzen können.
2. Warum erfüllen diese unserer Ansicht nach nicht die Voraussetzungen für die Genossenschaft?
Wichtigstes Kriterium einer Genossenschaft ist das Bestehen einer ordnungsgemäßen Mitgliederförderung. Das Genossenschaftsgesetz regelt dieses in § 1 Abs. 1 GenG:
(…) deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (Genossenschaften)
Es geht – einfach gesagt – darum, dass die Genossenschaft ein Unternehmen (Geschäftsbetrieb) führt, das die Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Verbraucher ((Haus-) Wirtschaft) oder Unternehmer (Erwerb) nutzen, um daraus ihre Vorteile zu ziehen. Die Beziehung von Mitglied und Geschäftsbetrieb (Mitgliedergeschäft / Mitgliederförderung) ist daher wichtig, um die Voraussetzungen für den Zugang zur eingetragenen Genossenschaft zu erfüllen. Das ergibt sich aus unserer Sicht zwingend aufgrund des Wortes „durch“, welches eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Geschäftsbetrieb und der Mitgliederförderung fordert.
Die Mitgliederförderung kann – je nach Ausrichtung der Genossenschaft – sehr unterschiedlich ausgestaltet sein (5). Bei einem Ladengeschäft kommen insbesondere drei Gruppen in Frage: die Mitglieder können die Verbraucher sein, die dort einkaufen, die Angestellten, die dort arbeiten, oder die Erzeuger, die dort ihre Produkte anbieten. In allen Fällen (die auch gemischt existieren können) nutzen die Mitglieder die Genossenschaft als Konsumgenossenschaft (abgeleitet von den Konsumenten), als Produktivgenossenschaft (abgeleitet von der produktiven Tätigkeit) oder als Absatzgenossenschaft (abgeleitet von dem Absatz der erzeugten Produkte).
Auch bei Wohnungsgenossenschaften ist die Mitgliederförderung klar erkennbar: Nutzer der Genossenschaft sind diejenigen, die aufgrund eines Nutzungsvertrags mit der Genossenschaft genossenschaftlichen Wohnraum zu Wohnzwecken nutzen. Allerdings kann es auch andere Konstellationen geben, zum Beispiel, wenn sich Unternehmen zusammenschließen, um für ihre Angestellten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dann handelt es sich nicht mehr um eine Verbrauchergenossenschaft (Förderung der (Haus-) Wirtschaft), sondern um eine Unternehmergenossenschaft (Förderung des Erwerbs).
Im Beispiel 1 liegt klar eine vermögensverwaltende Genossenschaft vor, deren Ziel es ist, vorrangig den Mitgliedern eine Dividende zu zahlen. Der Förderzweck der (reinen / vorrangigen) Dividendenerzielung ist jedoch kein zulässiger Förderzweck nach dem Genossenschaftsgesetz (6).
Auch im Beispiel 2 handelt es sich unserer Ansicht nach faktisch um eine vermögensverwaltende Genossenschaft. Der Förderzweck und der gemeinschaftliche Geschäftsbetrieb fallen auseinander. Es geht nicht um die Förderung durch den Geschäftsbetrieb, sondern mittels der erzielten Überschüsse. Damit liegt der Fokus auf einer Dividendenauszahlung – hier statt in Euro und Cent in Form von Sachleistungen. Damit handelt es sich auch in diesem Fall aus unserer Sicht nicht um einen zulässigen Förderzweck. Ob dies steuerlich schon als eine verdeckte Gewinnausschüttung eingestuft werden kann, müssten im Einzelfall die Finanzämter beurteilen. Da es hier aber um eine kostenfreie Nutzung geht, die nur aufgrund der Mitgliedschaftsbeziehung gewährt wird, ist dies zumindest nicht fernliegend.
Als Konsequenz könnte eine solche Genossenschaft nach § 81 Abs. 1 GenG auf Antrag der zuständigen obersten Landesbehörde durch Urteil aufgelöst werden, da sie entgegen § 1 GenG nicht auf die Förderung der Mitglieder ausgerichtet ist.
3. Kann die „Nutzung“ der investierenden Mitglieder etwas an unserer Zuordnung als Fake-Genossenschaft ändern?
Das Genossenschaftsgesetz erlaubt seit 2006, dass in der Satzung investierende Mitglieder zugelassen werden können. Das Gesetz definiert diese in § 8 Abs. 2 Satz 1 GenG wie folgt:
Personen, die für die Nutzung oder Produktion der Güter und die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Genossenschaft nicht in Frage kommen, (können) als investieren-de Mitglieder zugelassen werden.
Der Text legt nahe, dass Kunden der Genossenschaft unter keinen Umständen investierende Mitglieder sein können, da sie ja die Einrichtungen nutzen. Allerdings muss zu dieser Reglung immer auch die Mitgliederförderung dazu gedacht werden. Bei einer Verbrauchergenossenschaft sind die Unternehmen, die die Genossenschaft beliefern, keine tauglichen nutzenden Mitglieder. Anders ist es bei einer Produktivgenossenschaft, bei dieser liegt die Mitgliederförderung in der Zurverfügungstellung des Arbeitsplatzes, so dass Kunden keine nutzenden Mitglieder werden können.
Insofern muss bei der Einordnung als investierendes Mitglied immer danach geschaut werden, wer im Sinne der Satzung durch die Nutzung des Geschäftsbetriebs gefördert werden soll. Und aus diesem Grunde müssen investierende Mitglieder bei der Beurteilung der Frage, ob ein zulässiger Förderzweck besteht, außen vorbleiben. Denn es geht darum, ob es Mitglieder gibt, die durch die Nutzung des Unternehmens der Genossenschaft im Sinne des in der Satzung festgelegten Zweckes gefördert werden.
Die Aufnahme von investierenden Mitgliedern, die zwar den Geschäftsbetrieb als Kunden nutzen, aber nicht die genossenschaftliche Förderleistung, kann einer Genossenschaft, die keinen genossenschaftsrechtlichen Förderzweck verfolgt, nicht helfen, um die Voraussetzungen des § 1 GenG zu erfüllen.
4. Warum könnte sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für solche Konstrukte interessieren?
Vor einigen Jahren wurde das Kapitalanlagegesetz (KAGB) eingeführt. Es regelt insbesondere, unter welchen Rahmenbedingungen in Deutschland Investmentvermögen geführt werden dürfen. Die Definition in § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB lautet:
Investmentvermögen ist jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren und der kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist.
Solche Investmentvermögen sind nach dem KAGB nur als Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften erlaubt (§§ 91, 139 KAGB), daher ist die Rechtsform der Genossenschaft hierfür nicht zulässig. Bei der Einführung des KAGB gab es eine sehr intensive Diskussion darüber, ob Genossenschaften als Investmentvermögen zu qualifizieren sind. Schlussendlich haben Bundestag, Bundesregierung und die BaFin zu Recht entschieden, dass Genossenschaften das nicht sind, wenn diese einen ordnungsgemäßen Förderzweck erfüllen (7). Denn die Nutzung der gemeinschaftlichen Einrichtung steht im Vordergrund und nicht die Investition von Vermögen zugunsten der (finanziellen) Interessen der Mitglieder, insbesondere in Form von Gewinnausschüttungen.
Wenn es nun aber keinen zulässigen Förderzweck gibt, sondern es lediglich darum geht, dass das einbrachte Vermögen verwaltet wird und Gewinne erzielt werden, die in Geld oder Sachleistungen ausgeschüttet werden, dann kann es sein, dass ein Investmentvermögen im Sinne des KAGB vorliegt. Sollte die BaFin der Ansicht sein, dass dies der Fall ist, dann kann sie verwaltungsrechtliche (§ 341 KAGB) oder strafrechtliche (§ 339 KAGB) Maßnahmen einleiten.
Damit die BaFin effektiv tätig werden kann, berechtigt § 62 Abs. 3 Satz 2 GenG den zuständigen Prüfungsverband, der BaFin den Prüfungsbericht ganz oder in Auszügen zur Verfügung zu stellen, wenn sich aus diesem Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die geprüfte Genossenschaft keinen zulässigen Förderzweck verfolgt, sondern ihr Vermögen gemäß einer festgelegten Anlagestrategie investiert, so dass ein Investmentvermögen nach § 1 Abs. 1 KAGB vorliegen könnte.
5. Fazit
Ein ordnungsgemäßer Förderzweck ist der Dreh- und Angelpunkt einer jeden Genossenschaft und muss mit Leben gefüllt werden. Genossenschaften, die einzig gegründet werden, um das Vermögen einer Familie zu verwalten und der Familie finanzielle Vorteile zu erbringen, erfüllen nicht die Voraussetzungen einer Genossenschaft, die Prüfungsverbände sollten hier ihrer Verantwortung nachkommen und bei der Gründungsprüfung sowie nachfolgend bei der regelmäßigen Pflichtprüfung darauf achten, dass Genossenschaften das machen, wozu sie da sein sollen: Mitglieder durch die Nutzung der Einrichtungen des Geschäftsbetriebs zu fördern.
Mathias Fiedler
Fußnoten:
(1) Vgl. dazu der Beitrag von Hilmar Bühler, DGRV: „Steuervermeidung ist kein Förderzweck“: https://www.dgrv.de/steuervermeidung-ist-kein-foerderzweck/
(2) Die hier besprochenen Genossenschaften haben die steuerlichen Ausnahmeregelungen des § 5 Nr. 10 KStG in Anspruch genommen, bis diese Regelung 2019 geändert worden ist, vgl. dazu der Beitrag: „Neuregelung zu Vermietungsgenossenschaften“: https://www.zdk-hamburg.de/blog/2019/12/neuregelung-zu-vermietungsgenossenschaften/
(3) Die Vorteile entstehen, weil nicht der Wert der Genossenschaft bei der Ermittlung der Erbschaftssteuer herangezogen wird, sondern der Nennwert des Geschäftsguthabens (vgl. dazu ErbStR R B 151.6 (zu § 151 BewG)).
(4) Dazu zählt zum Beispiel die „Die Familiengenossenschaft eG“ mit Sitz in Mannheim: https://www.familiengenossenschaft.de
(5) Vgl. dazu auch der Beitrag „Zur Debatte: Mitgliederförderung“ unter: https://www.zdk-hamburg.de/blog/2021/03/zur-debatte-mitgliederfoerderung/
(6) Ganz herrschende Meinung: vgl. nur Beuthien GenG, 16. Auflage, § 1 Rn. 10a
(7) Siehe dazu das Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ der BaFin unter II. 3.: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Auslegungsentscheidung/WA/ae_130614_Anwendungsber_KAGB_begriff_invvermoegen.html
Hinweis:
Dieser Text erschien als Kurzbeitrag in der Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen (ZfgG) 2023, S. 111-116 unter dem Titel: Genossenschaften mit vorgetäuschter Mitgliederförderung (Fake-Genossenschaften).