Wenn es darum geht, zu beschreiben, was das Besondere an der Rechtsform der Genossenschaft ist, dann kommt man sofort auf die Mitgliederförderung zu sprechen. Vielen ist allerdings unklar, was damit genau gemeint ist.
Die Mitgliederförderung ist der Zweck einer Genossenschaft, also der Grund für deren Existenz. Es gibt keine eigene Definition der Mitgliederförderung, sie ist vielmehr in der Legaldefinition der Genossenschaft in § 1 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz enthalten:
Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (Genossenschaften), erwerben die Rechte einer „eingetragenen Genossenschaft“ nach Maßgabe dieses Gesetzes.
Kurz gesagt bedeutet die Mitgliederförderung, dass die Genossenschaft ein Geschäft zur Förderung der Mitglieder betreibt.
Es geht also um drei Fragen:
– was macht die Genossenschaft (Geschäftsbetrieb),
– warum macht sie es (Förderung) und
– für wen macht sie es (Mitglieder).
1. Geschäftsbetrieb
Der Geschäftsbetrieb ist die unternehmerische Tätigkeit, die die Genossenschaft ausübt. Das bedeutet zunächst einmal, dass jede Genossenschaft ein Unternehmen betreibt. Dieses muss keinen bestimmten Umsatz haben, es kann auch eine kleine unternehmerische Tätigkeit sein. Das Gesetz beschreibt den Geschäftsbetrieb als einen „gemeinschaftlichen“. Das bedeutet nicht, dass er von den Mitgliedern gemeinsam betrieben werden muss, sondern war historisch als eine sprachliche Abgrenzung zu den Geschäftsbetrieben der Kapitalgesellschaften gedacht, eine besondere Anforderung ergibt sich daraus nicht.
Was das Unternehmen der Genossenschaft macht, wird mit dem Gegenstand des Geschäftsbetriebes in der Satzung festgelegt. Bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel Versicherungen, für die es den VVaG gibt) kann die Genossenschaft jeden unternehmerischen Gegenstand verfolgen. Das Unternehmen soll dabei vorrangig selbst betrieben werden, möglich sind aber auch indirekte Lösungen, zum Beispiel über Beteiligungen oder durch die Stellung von Infrastruktur.
Die Beschreibung des Gegenstandes kann dabei auch inhaltliche bzw. ideelle Anforderungen beinhalten. Zum Beispiel kann geregelt werden, dass die zu verkaufenden Waren möglichst günstig eingekauft und wieder verkauft werden oder, dass ausschließlich ökologisch produzierte Waren im Sortiment aufgenommen werden dürfen. Diese inhaltliche Ausrichtung erfolgt durch die Mitglieder in der Satzung.
Wenn diese Anforderungen dazu führen, dass die Genossenschaft auch Anderen nutzt (zum Beispiel über die Ziele des Klimaschutzes oder des fairen Handels), dann verfolgt die Genossenschaft zwar auch ideelle (zum Teil sogar drittnützige) Ziele, dies ist aber mit der Natur der Genossenschaft zu vereinbaren, da es hier um die Art und Weise der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit geht.
Ebenso kann die Genossenschaft einen Geschäftsbetrieb ausüben, der soziale oder kulturelle Leistungen beinhaltet. Dies können auch solche sein, die den Katalog der gemeinnützigen Betätigung nach der Abgabenordnung erfüllen. Wenn die Genossenschaft zusätzliche Anforderungen in der Satzung erfüllt, kann sie, wie viele unserer Mitglieder zeigen, auch als eine „gemeinnützige Genossenschaft“ durch das Finanzamt anerkannt werden.
Was für ein Unternehmen die Genossenschaft betreibt, das legen die Mitglieder in der Satzung fest. Das Gesetz wiederum legt fest, welchem Zweck dies dient: der Förderung der Mitglieder.
2. Förderung
Wie bei anderen Rechtsformen auch, wird der Geschäftsbetrieb nicht aus Selbstzweck betrieben, sondern dient einem Zweck. Bei der Genossenschaft dient er zur Förderung der Mitglieder. Aber was bedeutet das nun genau?
Die gesetzliche Definition besagt, dass die Förderung der Mitglieder durch den Geschäftsbetrieb erfolgen soll. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Nutzung des Unternehmens die Förderung darstellt. Damit grenzt sich die Genossenschaft deutlich von anderen Rechtsformen ab. Zum Beispiel geht es bei den Kapitalgesellschaften darum, zugunsten der Gesellschafter einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen.
Da die Nutzung im Vordergrund steht, ist es nicht zulässig, die Genossenschaft ausschließlich auf die Erzielung einer Gewinnausschüttung auszurichten. Solche so genannten Dividendengenossenschaften bezwecken keine zulässige Mitgliederförderung.
Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass eine Genossenschaft keine Gewinne erzielen darf. Damit die Genossenschaft langfristig (nachhaltig) arbeiten kann, muss sie gewinnorientiert arbeiten. Der Gewinn ist allerdings nicht das vorrangige Ziel, sondern dient der Erreichung der langfristigen Existenz. Und selbstverständlich dürfen Gewinne auch an die Mitglieder ausgeschüttet werden, aber es darf eben nicht der vorrangige Zweck der Genossenschaft sein.
Bei der Genossenschaft dient das Unternehmen also der Nutzung durch die Mitglieder. Und wie diese Nutzung aussieht, hängt wiederum von den Mitgliedern ab.
3. Mitglieder
Die Legaldefinition im Gesetz beinhaltet traditionell zwei Hauptgruppen. Die Genossenschaft dient
a) dem Erwerb der Mitglieder oder
b) der Wirtschaft der Mitglieder.
Unter der Förderung des Erwerbs der Mitglieder ist die Förderung von Unternehmen, Selbständigen oder auch Mitarbeitern zu verstehen, die bei ihrer Erwerbstätigkeit unterstützt werden. Die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder bezieht sich traditionell auf die Hauswirtschaft der Mitglieder, damit sind die Verbraucher gemeint, die die Genossenschaft nutzen.
Im Rahmen der Genossenschaftsreform von 2006 wurden zur Klarstellung noch die „sozialen oder kulturellen Belange“ der Mitglieder mit aufgenommen. Vorbild war hier die damals neu eingeführte europäische Genossenschaft (SCE). Damit werden Genossenschaften aber nicht zu Idealgenossenschaften, sondern es wird klargestellt, dass das Unternehmen der Genossenschaft eben nicht nur auf die Förderung der hauswirtschaftlichen Bereiche der Verbraucher beschränkt ist, sondern eben auch andere Belange berühren kann. Das war sehr nützlich, um deutlich zu machen, dass Genossenschaften auch soziale (gemeinnützige) Dienstleistungen anbieten können.
Vereinfacht gesagt, geht es im Wesentlichen darum, dass die Mitglieder als Unternehmer, Mitarbeiter oder Verbraucher gefördert werden.
Je nachdem, wer die Mitglieder sind, unterschiedet sich die Art und Weise der Förderung. Um die Unterschiede verschiedener Genossenschaftsmodelle zu veranschaulichen, bilden wir ein Beispiel:
Der Geschäftsbeitrieb ist der Betrieb einer Weinhandlung zur Förderung der Mitglieder.
Als Nutzer der Genossenschaft kommen dabei (mindestens) vier Gruppen in Betracht:
a) Winzer,
b) Händler,
c) Mitarbeiter oder
d) Verbraucher.
Alle diese vier Möglichkeiten beschreiben unterschiedliche Arten von Genossenschaften mit ganz unterschiedlichen Förderleistungen für die Mitglieder.
Im ersten Fall werden die Mitglieder in ihrer unternehmerischen Eigenschaft unterstützt, es geht hier um den Verkauf der Weine der Mitglieder, eine solche Genossenschaft ist eine Absatzgenossenschaft. Die Mitgliederförderung liegt hier in dem Kauf der Weine vom Erzeuger.
Auch im zweiten Fall werden die Mitglieder in ihrer unternehmerischen Eigenschaft unterstützt, es geht hier um den Einkauf der Weine für den Verkauf im Einzelhandel, eine solche Genossenschaft ist eine Einkaufsgenossenschaft. Die Mitgliederförderung liegt hier in dem gemeinsamen Großeinkauf.
Im dritten Fall werden die Mitglieder als Arbeitnehmer unterstützt. Es geht hier um die Schaffung eines gemeinschaftlichen Unternehmens, in dem zusammengearbeitet wird, eine solche Genossenschaft ist eine Produktivgenossenschaft. Die Mitgliederförderung liegt hier in dem Arbeitsverhältnis.
Im vierten Fall werden die Käufer des Produkts unterstützt. Es geht um die Schaffung eines Unternehmens, das von den Verbrauchern getragen wird, eine solche Genossenschaft ist eine Konsumgenossenschaft. Die Mitgliederförderung liegt hier im Kauf der Weine.
Es gibt aber durchaus Genossenschaften, in denen mehrere Gruppen zusammenkommen und auf die sich die Förderung beziehen soll. Das sind dann die so genannten Multi-Stakeholder-Genossenschaften. Hier wird nicht nur eine Mitgliedergruppe gefördert, sondern mehre. Prominentestes Beispiel dafür sind die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften.
Das zeigt, dass der Frage nach der Mitgliederförderung nur dann beantwortet werden kann, wenn sich aus der Satzung Hinweise auf die oben genannten drei Fragen ergeben:
Was macht die Genossenschaft, warum macht sie das und für wen macht sie es?
4. Wirtschaftlicher Vorteil?
Häufig wird darauf hingewiesen, dass die Mitgliederförderung wirtschaftlich vorteilhaft sein muss.
Nach unserem Verständnis muss bei der Frage nach der Mitgliederförderung zwischen dem Zweck einer Tätigkeit und dem Erfolg der Tätigkeit unterschieden werden. Die Frage, ob ein zulässiger Zweck verfolgt wird, ist wichtig für die Eintragung der Genossenschaft im Register. Aus diesem Grund kann nur die Zweckverfolgung verlangt werden. Für die Genossenschaft bedeutet dies, dass die Mitgliederförderung erfüllt wird, wenn die Genossenschaft ein satzungsgemäßes Unternehmen betreibt, welches den Mitgliedern zur Nutzung angeboten wird. Würde darauf abgestellt werden, dass dies für die Mitglieder wirtschaftlich von Vorteil ist, dann würde der Erfolg zum Wesensmerkmal der Genossenschaft. Dann müssten qualitative Merkmale („gut erfüllt“ / „schlecht erfüllt“ / „nicht erfüllt“) über eine Eintragung entscheiden. Das ist aus unserer Sicht genauso falsch, wie es falsch wäre, beim ideellen Verein danach zu fragen, ob die in der Satzung festgelegten Zwecke erreicht werden.
Gleichwohl ist es für die Genossenschaft wichtig, dass sich ein Fördererfolg bei den Mitgliedern einstellt. Denn nur dann, wenn die Nutzung der Einrichtungen der Genossenschaft von Vorteil ist, wird die Genossenschaft Mitglieder werben können, die die Genossenschaft nutzen. Wenden sich die Mitglieder ab, dann kann die Genossenschaft wirtschaftlich nicht überleben und die Genossenschaft verschwindet mittel- oder langfristig vom Markt. Insofern ist es für die Organe der Genossenschaft wichtig, den Förderzweck so zu erfüllen, dass bei den Mitgliedern tatsächlich ein Fördererfolg eintritt.
Mathias Fiedler
Hamburg, den 30.03.2021