Anlässlich seiner Teilnahme am Online-Dialog der SPD-Bundestagsfraktion „Genossenschaften – nachhaltig solidarisch wirtschaften: Genossenschaftliche Perspektiven im Jahr 2021“ hat sich der Vorstandssprecher des ZdK, Mathias Fiedler, mit der Frage der Digitalisierung im Genossenschaftsrecht auseinandergesetzt.
Die Genossenschaft ist eine Rechtsform, die ihre Anfänge im 19. Jahrhundert genommen hat. Sie hat seither viele gesellschaftliche Veränderungen miterlebt, ohne sich in dieser Zeit selbst im Kern zu ändern. Gleichwohl sind ihre rechtlichen Rahmenbedingungen regelmäßig angepasst worden. Nun leben wir in einer Zeit, in der die Digitalisierung die Gesellschaft verändert. Die Corona-Pandemie hat dies nur beschleunigt, denn durch die Kontaktbeschränkungen war und ist es notwendig auf anderer Art und Weise zusammenzuarbeiten.
Wir möchten mit diesem Beitrag die Debatte über eine erforderliche, aber auch angemessene Änderung des Genossenschaftsrechts beginnen, um die Genossenschaft weiterhin als moderne Rechtsform nutzen zu können. Unser Fokus liegt dabei nicht darauf alles Machbare zu fordern, sondern zwischen verschiedenen Positionen abzuwägen.
Einerseits sind wir ein Verband von Genossenschaften als Unternehmen. Eine Genossenschaft ist ein (besonderes) Wirtschaftsunternehmen und muss deshalb auch unternehmerisch denken. Die Arbeitsprozesse müssen effektiv sein und die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern soll einfach und modern ausgestaltet sein.
Andererseits haben wir eine Tradition als Verbraucherorganisation. Die Konsumgenossenschaften haben sich schon immer als ein Teil der Verbraucherbewegung verstanden und sich für die Interessen der Verbraucher eingesetzt. Damit kommt bei Konsumgenossenschaften das Identitätsprinzip voll zur Geltung: Die Verbraucher sind Gesellschafter und Kunden, es ist daher wichtig, die Interessen der Verbraucher bei der Arbeit immer mit im Blick zu haben. Als ein Gründungsmitglied der Verbraucherzentrale Bundesverband achten wir daher auch immer darauf, dass die Regeln im Sinne eines angemessenen Verbraucherschutzes gestaltet werden.
Mit dieser Sichtweise – Verbraucherschutz einerseits, aber praktische Lösung für Genossenschaften andererseits – wollen wir aufgrund unserer Erfahrung mit den gesetzlichen Ausnahmeregelungen zur Corona-Pandemie einige Punkte hervorheben, bei denen wir vielleicht auch einen Änderungsbedarf in der Zukunft sehen.
Virtuelle Versammlungen
Seit 2006 ist es Genossenschaften erlaubt, Satzungsregelungen einzuführen, aufgrund derer virtuelle Generalversammlungen durchgeführt werden können. Wir haben mit unseren Musterregelungen bei unseren Mitgliedern diesbezüglich sehr gute Erfahrungen gemacht. Durch die Ausnahmeregelung hat es einen weiteren starken Interessenzuwachs gegeben. Sehr viele Genossenschaften haben diese Möglichkeit erst hierdurch entdeckt. Ob und inwieweit diese angenommen worden ist, hängt natürlich auch von der Altersstruktur der Genossenschaften ab, sowohl bezüglich der Gesamtheit der Mitglieder als auch bezüglich der Organvertreter.
Es gab und gibt Genossenschaften, für die virtuelle Lösungen zu kompliziert sind, während andere diese sehr schnell angenommen haben. Unserer Beobachtung nach macht aber nicht nur die Altersstruktur einen Unterschied.
- Bei Genossenschaften mit einer Mitgliedschaft, die eher regional verortet ist, werden solche virtuellen Lösungen anscheinend weniger stark genutzt.
- Genossenschaften, die überregional arbeiten, empfinden diese demgegenüber häufig als sehr große Bereicherung. Sie bieten Menschen, die weiter von der Genossenschaft entfernt wohnen, ein Mehr an Partizipationsmöglichkeit, denn meistens ist es für sie nicht sinnvoll für eine „normale“ Versammlung durch die halbe Republik zu reisen. Eine virtuelle Teilnahme ist sehr viel eher leistbar. Für diese Mitglieder entsteht tatsächlich ein Zugewinn.
Was können wir lernen aus dem, was wir im vergangenen Jahr erlebt haben?
Es wäre sehr hilfreich, wenn es eine klarstellende Definition des Begriffs der elektronischen Beschlussfassung gäbe. Genügt bei einer virtuellen Versammlung die elektronische Übermittlung eines sichtbaren Handzeichens bzw. einer hörbaren Äußerung? Oder bedarf es einer elektronischen Eingabe per Tastatur bzw. Mausklick? Zudem sollte geprüft werden, ob die derzeitige gesetzliche Regelung an sich noch zeitgemäß ist. Sie stammt aus dem Jahre 2006. Dort ist geregelt, dass eine Bild- und Tonübertragung einer Präsenz-Generalversammlung durchaus möglich ist, wenn dies die Satzung zulässt. Aber an einer Präsenz-Versammlung dürfen wiederum nur Aufsichtsratsmitglieder per Bild- und Tonübertragung teilnehmen. Das bedeutet, dass Hybrid-Lösungen für Präsenzsitzungen derzeit nicht möglich sind. In anderen Rechtsformen gibt es derzeit mehr Möglichkeiten. Zum Beispiel ist es bei Vereinen durch die Ausnahmeregelung wegen Covid-19 möglich, dass Mitglieder bei einer elektronischen Versammlung vorab schriftlich abstimmen können. Von daher sollten wir eine Debatte führen, was möglich und sinnvoll ist, damit wir Genossenschaften zukünftig eine größere Spannbreite bieten können.
Einladung über die Internetseite
Was sich unserer Ansicht nach nicht bewährt hat und was nicht genutzt wurde, ist die Einladung zu einer Generalversammlung über die Webseite. Aus unserer Sicht gibt es dafür keinen Bedarf. Wir halten diese Regelung auch für verbraucherfeindlich. Denn sie würde bedeuten, dass jedes Mitglied mindestens alle 14 Tage die Internetseite seiner Genossenschaft sehr intensiv studieren muss, um zu erfahren, ob eine Generalversammlung stattfindet und was auf der Tagesordnung steht. Erheblich belastende Maßnahmen wie z.B. eine Verdopplung des Geschäftsanteils könnten so leichter gegen den Willen einer uninformierten Mehrheit durchgesetzt werden. Aus Verbrauchersicht halten wir dies nicht für vertretbar. Es gibt einfache Wege die Mitglieder modern und digital direkt zu erreichen. Im Endeffekt es ist das aus unserer Sicht eine Regelung, die dem Missbrauch Tor und Tür öffnen würde. Für die „schwarzen Schafe“ unter den Genossenschaften, wäre es leichter dafür zu sorgen, dass die Mitglieder in möglichst geringer Anzahl kommen.
Digitaler Beitritt
Interessant ist dagegen aber durchaus die Debatte über die Frage eines digitalen Beitritts. Vorwegzuschicken ist, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden sollten, die einerseits gut von Genossenschaften genutzt werden können, es aber andererseits den schwarzen Schafen unter den Genossenschaften nicht zu leicht machen, ihre Mitglieder zu übervorteilen.
Was hat sich bislang bei der Beitrittserklärung getan?
- Seit 2006 gibt es die Regelung, dass die Satzung ausgehändigt werden muss. Hintergrund war, dass die Genossenschaften seitdem die Möglichkeit hatten ein Mindestkapital einzuführen oder die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens abweichend vom Gesetz zu regeln. Für die zukünftigen Mitglieder bedeutete dies aber immer noch, dass sie belastende Regelungen in der ausgehändigten Satzung selbst aufzuspüren hatten, um informiert abwägen zu können, ob sie Mitglied werden wollen oder nicht.
- In 2015 gab es die Diskussionen über das Kleinanlegerschutzgesetz. Genossenschaften müssen für das Angebot der Beteiligung mit Geschäftsanteilen keinen Verkaufsprospekt erstellen und gehören deswegen nicht zum regulierten Markt, sondern sind Teil des so genannten grauen Kapitalmarktes. Die Befreiung von der Prospektpflicht hängt von der Frage ab, ob für den Vertrieb der Geschäftsanteile eine erfolgsabhängige Vergütung gezahlt wird. In dem Fall muss ein Verkaufsprospekt erstellt werden.
- Seit 2017 ist in der Beitrittserklärung die Erfüllung entsprechender Hinweispflichten zu bekunden, wenn satzungsmäßig weitere Zahlungspflichten oder eine Kündigungsfrist von mehr als einem Jahr bestehen. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass die Vollmacht zur Unterzeichnung der Beitrittserklärung – wie zuvor nur die Beitrittserklärung selbst – nun auch der Schriftform unterliegt. Dies war erforderlich, weil die Marktwächter, die von den Verbraucherzentralen über Verbraucherbeschwerden informiert werden, berichtet haben, dass unseriöse Unternehmen Telefonvertriebe organisiert haben, im Rahmen derer sie sich telefonisch von Verbrauchern zur Unterzeichnung von Beitrittserklärungen haben bevollmächtigen lassen.
Die Marktwächter erhalten aber auch nach dieser Gesetzesänderung weiterhin Meldung über solche „schwarzen Schafe“. Die rechtlichen Konsequenzen von Verstößen gegen die Inhalts- und Formvorschriften zur Beitrittserklärung dürften zu überdenken sein. Die Nichtigkeit der Beitrittserklärung führt im Falle einer gleichwohl erfolgten Zulassung des Beitritts nicht zu einer sofortigen Rückabwicklung, sondern zu einer Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft. Das bedeutet, dass der fehlerhaft Beigetretene zunächst trotzdem Mitglied wird und dass die Mitgliedschaft nur mit Wirkung für die Zukunft durch außerordentliche Kündigung beendet werden kann. Das ist aber nicht im Sinne der Verbraucher, wenn die Mitgliedschaft gar nicht gewollt ist (und sogar noch Zahlungen geleistet werden müssen). Andererseits kennen wir auch Beispiele, bei denen versehentlich Formfehler gemacht wurden, die nachträglich nicht geheilt werden können, auch wenn das Genossenschaftsmitglied die Mitgliedschaft wollte und den Beitritt nicht bereut. Hier erkennen wir einen Handlungsbedarf. Wenn über eine Weiterentwicklung in Richtung des elektronischen Beitritts diskutiert werden soll, muss das berücksichtigt werden.
Wie könnte ein elektronischer Beitritt gestaltet werden? Die Verbraucherzentrale Bundesverband hat zu elektronischen Vertragsabschlüssen ein Forderungspapier mit beachtenswerten Vorschlägen veröffentlicht. Dabei geht es um Bestätigungs-E-Mails mit einem Bestätigungslink, damit die Verbraucher doppelt bestätigen müssen, dass der Vertragsabschluss gewollt ist.
Warum sollten wir nicht in diese Richtung denken?
- Wer eine elektronische Beitrittserklärung abgibt, bekommt eine Information per E-Mail von der Genossenschaft, in der sämtliche Rahmenbedingungen (darunter auch diejenigen, die sich derzeit nur aus dem Studium der Satzung ergeben sollen, also dem Mindestkapital) angegeben sind.
- Mit dem Klick auf den Link bestätigt der Verbraucher, dass er bereit ist, zu diesen Bedingungen Mitglied zu werden.
- Voraussetzung ist natürlich, dass diese Informationen verständlich gegeben werden. Insofern sollten diese nicht als AGB im Anhang beigefügt werden, sondern in der Bestätigungsmail klar und deutlich aufgeführt werden. Damit hätte man einen Zugewinn von Verbraucherinformation erreicht.
Über ein solches Verfahren könnten dann Genossenschaften in einer modernen Art und Weise Mitglieder gewinnen. Dies würde einerseits eine praktikable Lösung, andererseits aber einen Verbraucherschutz durch ein entsprechendes Verfahren und eine angemessene Verbraucherinformation bedeuten.
Wir finden, dass es sich lohnt, diese Debatte zu führen, um auch im 21. Jahrhundert modern und effektiv mit Genossenschaften arbeiten zu können.