In der Schriftenreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung „WISO direkt“ legt Dr. Burchard Bösche (Vorstandsmitglied des ZdK) dar, warum wir eine „kleine Genossenschaft“ brauchen. Die Förderung von Genossenschaften ist in etlichen Landesverfassungen verankert. Dennoch werden die Genossenschaften nicht (ausreichend) gefördert. Es gibt derzeit keine geeignete Rechtsform für das „kleine gemeinsame“ wirtschaften, daher brauchen wir die kleine Genossenschaft.
Die Diskussion über die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit dreht sich im Wesentlichen darum, wie durch mehr oder gezieltere öffentliche Ausgaben Menschen in Arbeit gebracht werden können. Soweit es darum geht, die Menschen dazu zu bringen, sich ihren Unterhalt selbst auf dem Markt zu verdienen, setzen die Fördermaßnahmen auf „den Unternehmer, die Unternehmerin“.
Wirtschaftliche Selbsthilfe ist aus dem Blick geraten
Völlig aus dem Blick geraten sind Möglichkeiten der gemeinschaftlichen Selbsthilfe, bei der eine Gruppe gemeinsam die Initiative ergreift und etwas bewegt, was ein Einzelner nicht kann. Die ideologische Vorherrschaft der „Unternehmerpersönlichkeit“ steht im Kontrast dazu, dass die Genossenschaft als einzige wirtschaftliche Gesellschaftsform nach etlichen Landesverfassungen ausdrücklich zu fördern ist. Die Genossenschaften befinden sich in Deutschland in einer tiefen Krise. Seit Jahrzehnten geht ihre Zahl zurück, heute sind es noch gut 7.000. Auch ihre Beschäftigungszahlen sinken. Dagegen gibt es in Italien mehr als 70.000 Genossenschaften mit steigender Tendenz. Jährlich werden dort über 2.000 Genossenschaften neu gegründet. In der kleinen Schweiz gibt es seit fünfzig Jahren nahezu unverändert rund 13.000 Genossenschaften. Mit der deutschen Bevölkerungszahl hochgerechnet müsste es vergleichsweise bei uns 140.000 Genossenschaften geben.
Ausweichen auf den eingetragenen Verein
Die Weltläden in Deutschland werden zu einem großen Teil in der Rechtsform des eingetragenen (Ideal-)Vereins geführt, obwohl das Bürgerliche Gesetzbuch in § 21 bestimmt, dass derartige Vereine nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sein dürfen. Ähnlich ist die Lage auch bei vielen „Food-Koops“, die mit ökologisch produzierten Nahrungsmitteln handeln. Auch für kleine Dorf- oder Stadtteilläden, die mangels anderweitiger Nahversorgungsmöglichkeiten eingerichtet werden, wird oft die Rechtsform e.V. gewählt. Der eingetragene Verein mit seinen minimalen Formerfordernissen und großen Satzungsfreiheit entspricht den Vorstellungen von einer geeigneten Rechtsform für die wirtschaftliche Selbsthilfe. Der Haken besteht nur darin, dass er vom BGB nur für ideale Zwecke und gerade nicht für die wirtschaftliche Selbsthilfe zur Verfügung gestellt wird.
Eingetragene Genossenschaft für Selbsthilfe kaum geeignet
Die eingetragene Genossenschaft ist nach bald 140 Jahren nicht mehr die Rechtsform, als die sie einst konzipiert wurde: eine Gesellschaftsform, die es den armen und benachteiligten Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht, ihre Kräfte zu bündeln und sich so wirtschaftliche Möglichkeiten zu verschaffen, die dem Einzelnen allein nicht erreichbar wären. Zahllose Änderungen des Genossenschaftsrechts haben einen Rechtsrahmen geschaffen, der geeignet ist für Banken im internationalen Wettbewerb und für große Nahrungsmittelkonzerne, aber eben nicht für eine Initiative mit 20 Mitgliedern, die zur Deckung ihres Bedarfs einen Ökoladen aufmachen will. Gegen das Ausweichen vieler kleiner Genossenschaftsinitiativen in die Rechtsform e.V. wäre nichts einzuwenden, wären da nicht erhebliche Risiken. Faktisch gibt es zunächst kein Problem, da sich weder das Vereinsregister noch das Finanzamt für den Widerspruch zur gewählten Rechtsform interessieren. Nach der neueren Rechtsprechung muss jedoch davon ausgegangen werden, dass bei einem Verein, der seine Rechtsform „missbraucht“, also entgegen § 21 BGB wirtschaftlich tätig ist, jederzeit die Rechtsfähigkeit entzogen werden kann.
Erfolgreiche Gründungen nur durch „UnternehmerInnen“?
Es werden heute im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit erhebliche Mittel eingesetzt, um die Selbstständigkeit und die Neugründung von Unternehmen zu fördern. Diese Mittel werden vergeben, um „UnternehmerInnen“ zu fördern, also Menschen, die persönlich das Unternehmen leiten und die Vorteile ihrer unternehmerischen Aktivitäten genießen und die für den möglichen Verlust persönlich haften. Es können EinzelunternehmerInnen sein, persönlich haftende GesellschafterInnen von Personengesellschaften, Gesellschafter-GeschäftsführerInnen einer GmbH. Für Genossenschaften ist diese Förderung in der Regel uninteressant, da die Vorstandsmitglieder gerade nicht mit erheblichem Kapital beteiligt sind. Diese Förderpraxis beruht auf der Ideologie, dass nur „die UnternehmerInnen“ in der Wirtschaft etwas befördern und deshalb allein förderungswürdig sind. Ignoriert wird die Erkenntnis, auf der einst der Genossenschaftspionier Hermann Schulze-Delitzsch aufbaute, dass gerade eine Gruppe Schwacher etwas erreichen kann, wozu der Einzelne, und sei er der/die intelligenteste UnternehmerIn, nicht in der Lage ist. Dabei bringt die Gruppe durch das Einsammeln der „Scherflein“ nicht nur das Kapital für wirtschaftliche Unternehmungen zusammen, sie bündelt auch die regelmäßig sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder, die in ihrer Kombination eine handlungsfähige unternehmerische Einheit darstellen. Festzuhalten bleibt, dass der Verzicht auf die spezielle Förderung von Genossenschaftsunternehmen Chancen ungenutzt lässt, die gerade darin liegen, dass sich Menschen zur Befriedigung ihrer wirtschaftlichen Bedürfnisse in einer Gruppe zusammen schließen.
Eingetragene Genossenschaft: zu teuer und zu bürokratisch
Typisch für Selbsthilfeinitiativen ist, dass ihre Mitglieder entweder wenig Geld oder nur ein begrenztes Interesse haben, weshalb sie nur wenig Geld zur Verfügung stellen. Wenn es um selbstorganisierte Beschäftigung von Arbeitslosen geht, trifft meist das Erste zu, wenn es um die Einrichtung eines genossenschaftlichen Dorfladens geht, das Zweite. Mangel an Eigenkapital ist bei Genossenschaften eine verbreitete Erscheinung. Viele Selbsthilfeinitiativen kommen nur zustande, weil in erheblichem Umfang ehrenamtliche, unbezahlte jedoch gesellschaftlich wertvolle Arbeit geleistet wird. Für die regelmäßig unbezahlte ehrenamtliche Übernahme der Leitungsaufgaben bei einem Selbsthilfeprojekt ist die Haftungsregelung bei der Genossenschaft, die der bei Kapitalgesellschaften entspricht, völlig inakzeptabel. Das gilt insbesondere für die gesetzlich angeordnete Umkehr der Beweislast, d.h. die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder müssen im Streitfall beweisen, dass sie nicht vorwerfbar gehandelt haben. Demgegenüber ist die Form des eingetragenen Vereins für Selbsthilfeprojekte attraktiv: geringe Kosten für die Eintragung ins Vereinsregister, kaum Buchhaltungsvorschriften, keine Kosten für die gesetzliche Prüfung, keine Beiträge zur IHK, keine Beiträge an einen genossenschaftlichen Prüfungsverband, keine Haftungsverschärfung nach Handelsrecht, keine Offenlegungspflichten im elektronischen Bundesanzeiger, aber Haftungsbeschränkung für die Mitglieder.
Aufwändige Gründungsprüfung
Für die Gründung des Vereins genügen eine Satzung mit sieben Unterschriften und das Protokoll der Mitgliederversammlung mit der Wahl des Vorstandes. Die Kosten für die Eintragung ins Vereinsregister sind gering. Anders bei der Genossenschaft: Die muss erst eine Gründungsprüfung durchlaufen, die üblicherweise etliche Wochen dauert. Die Eintragung ins Genossenschaftsregister ist erheblich teurer als beim Verein und zum Teil sogar teurer als bei Kapitalgesellschaften. Die Gründungsprüfung, die beim e.V. wie regelmäßig bei der GmbH entfällt, kann 3.000 € und mehr kosten, ein Betrag, der ausreicht, um eine komplette gebrauchte Laden oder Büroeinrichtung zu kaufen. Die eG muss Mitglied eines genossenschaftlichen Prüfungsverbandes werden und dafür üblicherweise einen Grundbeitrag zahlen, der mehrere 100 € pro Jahr beträgt. Danach muss sich die – immer noch kleine – Genossenschaft alle zwei Jahre der gesetzlichen Prüfung unterziehen, für die schnell ein Betrag bis 4.000 € oder auch mehr anfällt.
Die Genossenschaft ist „Formkaufmann“
Die Genossenschaft ist „Formkaufmann“ und damit nur wegen ihrer Rechtsform und unabhängig von ihrer Größe den Regeln des Handelsgesetzbuches (HGB) unterworfen. Dies bedeutet zunächst, dass man grundsätzlich einer weiteren Pflichtmitgliedschaft mit Beitragspflicht unterliegt, der in der Industrie- und Handelskammer (IHK). Vereine werden dagegen von der IHK nur selten behelligt. Selbst wenn die Pflichtmitgliedschaft eines e.V. in der IHK festgestellt wird, so bleibt er, anders als die Genossenschaft, doch beitragsfrei, wenn der Gewinn aus Gewerbebetrieb 5.200 € im Jahr nicht übersteigt. Teurer sind die Folgen für die Buchhaltung. Jeder Kaufmann ist nach HGB verpflichtet, einen Jahresabschluss zu erstellen. Dies setzt vertiefte Buchhaltungskenntnisse voraus, über die die Mitglieder der Selbsthilfeinitiativen oft nicht verfügen, so dass sie sich eines Steuerberaters bedienen, was wiederum Kosten von 1.000 bis 4.000 € pro Jahr verursacht. Der gleichgroße Verein, wenn er unter den Grenzen für die Buchführungspflicht bleibt, braucht nur eine einfache Einnahmenüberschussrechnung zu erstellen, in der er Einnahmen und Ausgaben jeweils untereinander schreibt und die Ergebnisse saldiert. Eine solche Abrechnung kann leicht auch ohne Steuerberater erstellt werden. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass ein Kaufmann schärferen Haftungsregeln unterliegt als ein Nichtkaufmann. Hinzu kommen Nachteile bei der Körperschaftssteuer: Vereinen wird ein Freibetrag von 3.835 € eingeräumt, Genossenschaften nicht.
Erfolgreiche Genossenschaftsförderung in Europa
Genossenschaftsförderung steht in Deutschland folgenlos auf geduldigem Verfassungspapier. Anders in vielen europäischen Ländern: Zum Beispiel in Italien können Genossenschaften günstige Kredite von ihren Mitgliedern aufnehmen, Gewinne können steuerfrei in die Rücklagen eingestellt werden, letzteres auch in Spanien und Portugal. In der Schweiz und vielen anderen Ländern werden kleine Genossenschaften von Prüfungskosten verschont. In Schweden bestehen 25 öffentlich finanzierte Gründungsagenturen für neue Genossenschaften. Dass dieser Weg erfolgreich ist, belegt die Erfolgsgeschichte der kleinen Genossenschaft in Italien, deren Einführung einen Gründungsboom auslöste und die inzwischen bis zu 40% aller Genossenschaften ausmacht. Es könnte eingewandt werden, dass in der modernen arbeitsteiligen Wirtschaft die Regelungen, die die Genossenschaft so teuer und schwerfällig machen, zum Schutz der Mitglieder und Geschäftspartner unvermeidlich seien. Dass dieses Argument nicht trägt, wird schon daran deutlich, dass in Deutschland eine halbe Million eingetragener Vereine existiert, von denen ein hoher Prozentsatz auf der Grundlage des sog. Nebenzweckprivilegs wirtschaftlich tätig ist – mit Millionen- und zum Teil Milliardenumsätzen –, für die diese Vorschriften nicht gelten.
Wirtschaftlicher Verein oder Kooperativgesellschaft
Wir brauchen in Deutschland für die kleinen Kooperativen eine Rechtsform, die so einfach und kostengünstig zu handhaben ist, wie heute der eingetragene Verein. Dabei ist nicht wichtig, wie diese kleine Genossenschaft heißt und in welchem Gesetz sie angesiedelt wird. Anbieten würde es sich, den wirtschaftlichen Verein des § 22 BGB von seiner anachronistischen Genehmigungspflicht zu befreien und ihn so aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Man könnte sich auch die neue und weitgehend deregulierte kleine GmbH, die „Unternehmergesellschaft (haftungsbegrenzt)“ zum Vorbild nehmen und im Genossenschaftsgesetz eine „Kooperativgesellschaft (haftungsbegrenzt)“ schaffen. Um Missbrauch vorzubeugen, sollte die neue Rechtsform im Umfang ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit begrenzt werden, wobei sich als sinnvoll die Grenzen für die Buchführungspflicht anbieten, die bei 500.000 € Umsatz oder 50.000 € Gewinn liegen. Wenn eine Gruppe, ein Kollektiv, ein Verein wirtschaftliche Kräfte freisetzen kann, die sonst ungenutzt blieben, wenn eine solche Gruppe in der Lage ist, Arbeitsplätze zu schaffen, die sonst nicht entstünden, so muss eine Politik entwickelt werden, die solche Initiativen fördert und ihnen die Steine aus dem Weg räumt.
Dr. Burchard Bösche