Die Willensbildung einer Genossenschaft erfolgt durch Beschlussfassung innerhalb ihrer Organe. Insbesondere die General- und die Vertreterversammlung finden im gesetzlichen Regelfall als Präsenzveranstaltung statt. Die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beeinträchtigen die Handlungsmöglichkeiten von Genossenschaften deshalb erheblich. Der Gesetzgeber hat hierauf reagiert und – neben diversen anderen Maßnahmen – gesetzliche Erleichterungen für Genossenschaften auf den Weg gebracht.
Am 27.03.2020 ist im Bundesgesetzblatt das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht verkündet worden. Dieses Gesetzespaket beinhaltet in Art. 2 das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Dieses wiederum beinhaltet in § 3 Regelungen für Genossenschaften:
(1) Abweichend von § 43 Absatz 7 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes können Beschlüsse der Mitglieder auch dann schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies in der Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist. Der Vorstand hat in diesem Fall dafür zu sorgen, dass der Niederschrift gemäß § 47 des Genossenschaftsgesetzes ein Verzeichnis der Mitglieder, die an der Beschlussfassung mitgewirkt haben, beigefügt ist. Bei jedem Mitglied, das an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, ist die Art der Stimmabgabe zu vermerken. Die Anfechtung eines Beschlusses der Generalversammlung kann unbeschadet der Regelungen in § 51 Absatz 1 und 2 des Genossenschaftsgesetzes nicht auf Verletzungen des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die auf technische Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung nach Satz 1 zurückzuführen sind, es sei denn, der Genossenschaft ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.
Aus der Gesetzesbegründung: „Es handelt sich um eine Sonderregelung zu § 43 Absatz 7 GenG. Die Regelung ermöglicht die Durchführung einer „virtuellen“ General- oder Vertreterversammlung vorübergehend auch dann, wenn die Satzung diesbezüglich keine entsprechenden Regelungen enthält. Genossenschaften sind aber nicht gezwungen, eine solche „virtuelle“ Versammlung durchzuführen; sie können auch warten, bis die Ausbreitung der Infektionen abgeklungen ist und die Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten aufgehoben wurden. Die Versäumung der Sechsmonatsfrist des § 48 Absatz 1 Satz 3 GenG hat keine Sanktionen zur Folge und die Fristeinhaltung kann auch nicht durch ein Zwangsgeld nach § 160 GenG erzwungen werden. Mangels Verschulden des Vorstandes kann dies im Rahmen der genossenschaftlichen Pflichtprüfung auch nicht dazu führen, dass die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung in Zweifel gezogen werden könnte. Daher bedarf es anders als bei § 175 Absatz 1 Satz 2 AktG keiner Verlängerung der Frist. Durch die Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit bei technischen Störungen soll verhindert werden, dass die Genossenschaften allein aufgrund von technischen Unsicherheiten die Erleichterungen nicht in Anspruch nehmen.“
(2) Abweichend von § 46 Absatz 1 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes kann die Einberufung im Internet auf der Internetseite der Genossenschaft oder durch unmittelbare Benachrichtigung in Textform erfolgen.
Aus der Gesetzesbegründung: „Es handelt sich um eine Sonderregelung zu § 46 Absatz 1 Satz 1 GenG. Die Regelung ermöglicht, dass eine vereinfachte Einberufung über die Internetseite der Genossenschaft erfolgen kann, wenn eine den Anforderungen der Satzung entsprechende Einberufung, beispielsweise im gemäß § 6 Nummer 4 GenG für Bekanntmachungen vorgesehenen Genossenschaftsblatt, nicht möglich ist, etwa, wenn dieses aufgrund der Auswirkungen der CO- VID-19-Pandemie nicht gedruckt und verteilt werden kann.“
(3) Abweichend von § 48 Absatz 1 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes kann die Feststellung des Jahresabschlusses auch durch den Aufsichtsrat erfolgen.
Aus der Gesetzesbegründung: „Es handelt sich um eine Sonderregelung zu § 48 Absatz 1 Satz 1 GenG. Durch die Regelung wird vorübergehend auch eine Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat ermöglicht. Da die fehlende Feststellung des Jahresabschlusses gegebenenfalls erhebliche Auswirkungen haben kann, z. B. für die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens nach § 73 GenG, soll die Feststellung des Jahresabschlusses auch dann (und zwar durch den Aufsichtsrat) möglich sein, wenn eine Genossenschaft nicht in der Lage ist, eine „virtuelle“ General- oder Vertreterversammlung durchzuführen. Die Bestimmungen in § 48 Absatz 2 und 3 GenG bleiben davon jedoch unberührt.“
(4) Der Vorstand einer Genossenschaft kann mit Zustimmung des Aufsichtsrats nach pflichtgemäßem Ermessen eine Abschlagszahlung auf eine zu erwartende Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens eines ausgeschiedenen Mitgliedes oder eine an ein Mitglied zu erwartende Dividendenzahlung leisten; § 59 Absatz 2 des Aktiengesetzes gilt entsprechend.
Aus der Gesetzesbegründung: „Absatz 4 ermöglicht dem Vorstand einer Genossenschaft, mit Zustimmung des Aufsichtsrats Abschlagszahlungen auf eine zu erwartende Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens oder eine zu erwartende Dividendenzahlung zu leisten; dies könnte dazu beitragen, Liquiditätsengpässe bei Mitgliedern beziehungsweise ausgeschiedenen Mitgliedern abzumildern. § 59 Absatz 2 AktG gilt entsprechend, das heißt ein vorläufiger Abschluss für das vergangene Geschäftsjahr muss einen Jahresüberschuss ergeben, als Abschlag darf insgesamt höchstens die Hälfte des Betrags gezahlt werden, der von dem Jahresüberschuss nach Abzug der Beträge verbleibt, die nach Gesetz oder Satzung in Gewinnrücklagen einzustellen sind und außerdem darf der Abschlag insgesamt nicht die Hälfte des vorjährigen Bilanzgewinns übersteigen.“
(5) Ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt. Die Anzahl der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft darf weniger als die durch Gesetz oder Satzung bestimmte Mindestzahl betragen.
Aus der Gesetzesbegründung: „Absatz 5 enthält vorübergehende Erleichterungen bei der Organbestellung. Dadurch sollen auch gerichtliche Notbestellungen vermieden werden, die die Gerichte unnötig belasten könnten. Nach Satz 1 bleiben Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft auch nach Ablauf ihrer Amtszeit bis zur Bestellung des Nachfolgers im Amt. Ist dies, z. B. aus gesundheitlichen Gründen, nicht möglich, ist es nach Satz 2 unschädlich, wenn die Anzahl der Organmitglieder unter die gesetzliche oder satzungsmäßige Mindestzahl sinkt.“
(6) Sitzungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft sowie gemeinsame Sitzungen des Vorstands und des Aufsichtsrats können auch ohne Grundlage in der Satzung oder in der Geschäftsordnung im Umlaufverfahren in Textform oder als Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden.
Aus der Gesetzesbegründung: „Nach Absatz 6 können Sitzungen von Vorstand oder Aufsichtsrat sowie gemeinsame Sitzungen auch ohne Grundlage in der Satzung oder in der Geschäftsordnung im Umlaufverfahren oder als Telefonkonferenz beziehungsweise Videokonferenz durchgeführt werden; gegebenenfalls entgegenstehende Satzungsregelungen oder Regelungen in der Geschäftsordnung sind aufgrund der gesetzlichen Regelung während ihres Geltungszeitraums unbeachtlich.“
§ 7 Abs. 3 des Gesetzes enthält die für die vorstehenden Regelungen für Genossenschaften geltenden Übergangsregelungen:
§ 3 Absatz 1 und 2 ist auf General- und Vertreterversammlungen, die im Jahr 2020 stattfinden, § 3 Absatz 3 ist auf Jahresabschlussfeststellungen, die im Jahr 2020 erfolgen, § 3 Absatz 4 ist auf Abschlagszahlungen, die im Jahr 2020 stattfinden, § 3 Absatz 5 ist auf im Jahr 2020 ablaufende Bestellungen von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern und § 3 Absatz 6 ist auf Sitzungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft oder deren gemeinsame Sitzungen, die im Jahr 2020 stattfinden, anzuwenden.
Die vorstehenden Regelungen für Genossenschaften sind gemäß Art. 6 Abs. 2 des Gesetzespakets am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten. Sie gelten also bereits, dies aber nur vorübergehend. Sollte die Krisensituation länger andauern, dann kann das BMJV durch eine Rechtsverordnung die Wirksamkeit dieser Ausnahmen verlängern, längstens jedoch bis zum 31.12.2021.
Die Regelungen finden auch auf Europäische Genossenschaften nach der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) mit Sitz im Inland insoweit entsprechende Anwendung, als diese Verordnung auf die Rechtsformvorschriften der Mitgliedsstaaten verweist. Die entsprechende Anwendung scheidet aus, soweit Regelungen Vorschriften der Verordnung widersprechen, von denen durch Gesetze der Mitgliedstaaten nicht abgewichen werden darf.
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Wichtiger Hinweis: Der vorliegende Beitrag bildet die rechtliche Situation im Zeitpunkt der Veröffentlichung ab. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Rechtslage kurzfristig ändert.